Am Wochenende des 11. und 12. Juni findet in Heidelberg das erste Literaturcamp, ein Barcamp für die Buchbranche, statt. Im Interview sagen Initiatorin Susanne Kasper und Barcamp-Spezialist Nils Pawlik worum es bei der Veranstaltung geht, was es mit dem Barcamp-Format auf sich hat und wie ein Austausch zwischen Verlegern, Lesern und Buchhändlerinnen, der auf Augenhöhe stattfindet, der Branche weiterhelfen kann.
Kurz und knapp: Was ist ein Literaturcamp?
Vielleicht ist der Begriff „Barcamp“ geläufiger, nach dessen Konzept wir unser Literaturcamp organisieren. Es handelt sich dabei um eine Veranstaltung, die von den Teilnehmern selbst gestaltet wird. Wir legen im Vorfeld keine Vorträge oder Lesungen fest, sondern das Programm wird am Morgen des Veranstaltungstages gemeinsam gestaltet. Jeder Teilnehmer hat die Gelegenheit, eine eigene Session vorzuschlagen. Die Resonanz bei den anderen Gästen entscheidet dann, ob und in welchem Rahmen diese vorgeschlagene Session stattfinden wird. Im Gegensatz zu den offenen Barcamps richten wir uns aber gezielt an Literaturfreunde.
Das heisst, ihr richtet euch nicht ausschliesslich an die Literaturbranche?
Nein, uns ist jeder willkommen. Ein wichtiges Prinzip des Barcamps ist, dass der Austausch auf Augenhöhe stattfindet. Ein Verlagsleiter ist hier nicht wichtiger als jemand, der nur gelegentlich ein Buch liest. Natürlich wird ein Grossteil der Teilnehmer aus der Buchbranche kommen, aber es gibt ja zum Beispiel auch etliche Literaturblogger, die in anderen Branchen arbeiten und für die Literatur ein reines Hobby ist.
Und warum braucht die Literatur ein eigenes Barcamp?
Bei den Literaturmenschen gibt es zwei Ausprägungen: Es gibt diejenigen, die neuen Konzepten gegenüber aufgeschlossen sind, sich einbringen und mitmachen. Und dann gibt es andere, die die neuen Trends verpassen und sich dann darüber ärgern, dass Amazon ihnen den Umsatz wegschnappt. Teilweise sind da die Fronten etwas verhärtet. Wir möchten dazu beitragen, dass sich diese Fronten etwas aufweichen und das Analoge mit dem Digitalen besser verzahnt werden kann.
„Gerade im eBook-Bereich gibt es auch viel Widerstand, dabei täte der stationäre Buchhandel gut daran, hier den Anschluss nicht zu verpassen. Umgekehrt ist es auch für Anbieter von eBooks wichtig, im direkten Austausch mitzubekommen, wo die Probleme für den Handel liegen.“
Geht es denn auch darum, den klassischen Buchhandel auf die Digitalisierung einzuschwören? Gerade der stationäre Buchhandel tut sich damit ja gelegentlich etwas schwer.
Wir werden uns nicht hinstellen und den Leuten erzählen, dass sie in Zukunft nur noch mit digitalen Hilfsmitteln arbeiten sollen. Wir geben auch nicht vor, dass in den Sessions über digitale Themen geredet werden muss. Wenn dafür bei den Teilnehmern kein Bedürfnis besteht, ist das auch ok. Aber wir bieten eine Plattform, die dabei helfen soll, eine gewisse Trägheit aufzubrechen und das eigene schwarz/weiss-Denken zu hinterfragen. Gerade im eBook-Bereich gibt es auch viel Widerstand, dabei täte der stationäre Buchhandel gut daran, hier den Anschluss nicht zu verpassen. Umgekehrt ist es auch für Anbieter von eBooks wichtig, im direkten Austausch mitzubekommen, wo die Probleme für den Handel liegen.
Gibt es einen Grund dafür, dass das Camp in Heidelberg stattfindet?
Heidelberg wurde 2014 von der Unesco zur City of Literature ausgezeichnet. Das erste LiteraturCamp hier durchzuführen, hat sich praktisch angeboten, zumal wir vom Orga Team alle in der Nähe leben. Die Stadt Heidelberg war auch die erste Sponsorin, die uns ihre Unterstützung zugesagt hat. Und Heidelberg ist eine Barcamp-Stadt. Es wurden hier schon Camps durchgeführt und es gibt eine entsprechende Szene.
„Wenn jemand inhaltlich spannende Sessions anbietet und dabei auf Augenhöhe mit dem Publikum bleibt, wird er nachhaltig in Erinnerung bleiben.“
Warum ist diese Szene denn wichtig, wenn die Veranstaltung ohnehin von den Teilnehmern gestaltet wird?
Die Teilnehmer werden nur Sessions anbieten, wenn sie sich wohl fühlen und Vertrauen in die Veranstaltung haben. Dafür ist eine kompetente Organisation wichtig. Zudem wird es ein Rahmenprogramm geben und wir arbeiten mit Sponsoren zusammen, die wir auch beraten. Zum Beispiel, indem wir ihnen aufzeigen, wie sie ihre eigenen Sessions optimal gestalten können. Wenn sich ein Sponsor einfach nur hinstellt und plumpe Eigenwerbung macht, wird das nach hinten losgehen. Wenn sie aber inhaltlich spannende Sessions anbieten und dabei auf Augenhöhe mit dem Publikum bleiben, werden sie nachhaltig in Erinnerung bleiben.
Barcamps sind traditionell eher in der digitalen Ecke verbreitet. Besteht nicht die Gefahr, dass sich vom Literaturcamp auch in erster Linie die digitale Szene angesprochen fühlt und diese Durchmischung, die es für eine bessere Verzahnung braucht, nicht zustande kommt?
Wir hoffen, dass wir ein Verhältnis von 80/20 hinbekommen. 80 Prozent der Teilnehmer werden wohl aus dem eher digitalen Umfeld der Literaturszene kommen. Wobei wir in diesem Fall Buchhändlerinnen oder Leser, die einen Twitter-Account haben, bereits dazu zählen und nicht nur von Leuten sprechen, die sich pausenlos im Netz und in den Sozialen Netzwerken bewegen. Diese Gruppe erreichen wir über unsere eigenen Kanäle einfach am Besten. An diejenigen, die nur analog unterwegs sind, heranzukommen, bedeutet sehr viel mehr Aufwand. Wir wünschen uns sehr, dass auch da möglichst viele kommen und betreiben deshalb Investieren wir auch einiges dafür.
Wie sieht dieser Aufwand aus?
Wir laden einige Leute gezielt ein, damit wir einen möglichst guten Mix hinbekommen. Heidelberg ist ja wie gesagt City of Literature. Es gibt da sehr viele Buchhandlungen, es hat eine grosse Bibliothek und eine Uni. Da gehen wir hin, sprechen die Leute an und stellen das Barcamp direkt vor Ort vor.
„Uns sind auch Leser willkommen, die beruflich nichts mit der Buchbranche zu tun haben, aber über ihre Aussensicht sprechen möchten.“
Getrauen sich denn die eher analog geprägten Leute überhaupt da hin? Meiner Erfahrung nach braucht es für viele Menschen unglaublich viel Überwindung, sich auf diese neuen Geschäftsfelder einzulassen. Nicht, weil diese technisch so anspruchsvoll wären, sondern weil man oftmals einfach keine Lust hat, irgendwo bei Null zu beginnen und weil die Grenzen im Kopf so stark sind.
Und genau dafür bietet die Form des Barcamps eine ideale Plattform, weil es so niederschwellig ist und jeder, der möchte, eine Session anbieten darf. Zum Beispiel werden etliche Buchhändlerinnen da sein, die ganz normal in einem Laden arbeiten und daneben vielleicht einen Blog betreiben, die Social Media Plattformen des Geschäfts betreuen oder sich besonders intensiv mit eBooks auseinander gesetzt haben. Uns sind auch Leser willkommen, die beruflich nichts mit der Buchbranche zu tun haben, aber über ihre Aussensicht sprechen möchten. Oder jemand bietet eine Yoga- oder Meditationssession zur Entspannung an. Abends werden die Sessions dann ohnehin spielerischer und haben keinen beruflichen Hintergrund mehr.
Ihr bietet ja auch Übernachtungsmöglichkeiten an.
Genau. Wer sich kein Hotel leisten kann oder auch einfach diese Camp-Stimmung etwas auskosten möchte, kann seinen Schlafsack mitbringen und vor Ort übernachten. Das Literaturcamp wird in ehemaligen Gebäude der Feuerwehr stattfinden, da gibt es viele ruhige Ecken. Es wird Kaffee geben und ein Catering und wir werden dafür sorgen, dass die Gäste sich irgendwo duschen können. Wir helfen aber auch gerne bei der Suche nach einem Hotel. Und wir bieten die Möglichkeit zur Kinderbetreuung.
Also eine generalstabsmässige Organisation, die auf alle Eventualitäten vorbereitet ist. Gibt es denn auch einen Plan B, für den Fall, dass keiner eine Session anbieten will?
Das wird nicht passieren. Wir haben Platz für 200 Teilnehmer am Tag. Darunter wird es eher zu viel als zu wenig Menschen geben, die etwas mitteilen können und möchten.
Susanne Kasper
Seit 2000 betreibt die Informatikerin und passionierte Leserin Susanne Kasper die Social Reading Internet Agentur für Social Reading Literaturschock. Als begeisterte Besucherin von Barcamps hat sie sich entschlossen, auch ein Camp für die Buchbranche zu organisieren und das Literaturcamp Heidelberg ins Leben gerufen.
Nils Pawlik
Nils Pawlik engagiert sich in der Barcamp-Szene. Durch seine Erfahrung in der Organisation und Durchführung von Camps, sorgt er für einen reibungslosen Ablauf hinter den Kulissen des Literaturcamps.