Sabine Gysi war während der Aufbauphase Programmverantwortliche im Debattierhaus Zentrum Karl der Grosse und kümmerte sich um dabei auch um die On- und Offline-Kommunikation. Im Interview spricht sie über die Notwendigkeit, digitale Möglichkeiten zu nutzen, ohne dabei das Analoge aus den Augen zu verlieren.
Du hast in den letzten zwei Jahren im Zentrum Karl der Grosse in Zürich eine Debattierplattform mit aufgebaut. Wozu braucht eine Stadt ein Debattierhaus?
Debattenhäuser sind in unserem Kulturkreis noch nicht sehr verbreitet. Literatur-, Kultur- und Soziokulturhäuser gibt es hingegen schon einige. Das Image von Karl der Grosse war zuvor etwas „verstaubt“ und ein Neuanfang nötig. Eine Projektgruppe der Stadt Zürich hat daher ein neues Konzept erarbeitet, mit dem sie explizit die Debattenkultur in Zürich fördern will.
„In der digitalen Kommunikation lassen sich keine klaren Grenzen mehr ziehen zwischen eigener Sphäre und Umfeld.“
Das Zentrum hat etliche sehr intensiv bewirtschaftete Social Media-Kanäle. War das von Anfang an Teil des Konzepts oder habt ihr im Laufe der Zeit festgestellt, dass sich dies bewährt?
Ich habe die On- und Offline-Kommunikation immer gleichwertig behandelt und es war von Anfang an selbstverständlich, dass ich das auch im Karl so handhaben will. Der Auftrag der Stadt Zürich beinhaltete, dass wir aus der Lokalität einen Begegnungsraum machen, von dem sich auch Leute unter 50 angesprochen fühlen. Dass uns dies gelungen ist, liegt zum Teil daran, dass wir mit den Neuen Medien gearbeitet und dort zusätzliche Netzwerke auf unser Programm aufmerksam gemacht haben.
Wenn man heute etwas Neues aufbaut gehört es dazu, dies auch mit Hilfe von Social Media zu tun. Kulturhäuser oder Institutionen, die schon etabliert sind, haben ihre Reichweite bereits und sind deshalb weniger auf die Hilfe dieser Kanäle angewiesen. Wenn sie diese Reichweite auch halten wollen, müssen sie sich aber über kurz oder lang ebenfalls mit den neuen Medien befassen.
Inzwischen ist Karl auch zu einem beliebten Treffpunkt zum Austausch für Soziale Netzwerker geworden. Das Barcamp Schweiz oder der Pub’n’Pub Stammtisch der Verlagsbrache finden zum Beispiel regelmässig da statt. Braucht virtuelle Kommunikation einen analogen Hafen?
Das Bedürfnis ist ganz sicher da, sich auch im realen Leben zu treffen und weiter zu diskutieren. Online wird oft hart debattiert, da bietet sich ein Debattenhaus zum realen Austausch natürlich an. Allerdings muss man sehen, dass nur ein ganz bestimmter Teil der Veranstaltungen im Karl die erwähnte Community rund um neue Medien und Kommunikation anspricht.
„Man darf und soll Online-Plattformen als Experimentierfeld nutzen. Aber man muss dabei unbedingt professionell bleiben. Ansonsten verliert man an Glaubwürdigkeit.“
Karl erreicht sein Publikum einerseits durch übliche Social Media-Aktivitäten, zum Beidspiel mit Hinweisen auf eine Veranstaltung auf der eigenen Facebook-Seite. Zusätzlich wird aber auch viel von den Gästen direkt aus den Events heraus getwittert, was eure Sichtbarkeit im Netz erhöht. Hast du jeweils vor jeder Debatte einen Hashtag definiert und die Leute dazu angehalten, zu twittern was das Zeug hält?
Das Vorgehen habe ich jeweils individuell einer Veranstaltung angepasst. In der Regel bin ich hinten im Raum gesessen und habe das Publikum off- und online beobachtet. Wenn ich gemerkt habe, dass Twitterer im Raum sind, habe ich selber losgetwittert. Das hat die Dynamik unterstützt.
Es braucht also Animation?
Es gibt Gruppierungen, die brauchen überhaupt keine Unterstützung. Politiker und Medienschaffende zum Beispiel haben oft ein grosses Sendebewusstsein und ein eigenes starkes Neztwerk. Für viele von ihnen ist es inzwischen selbstverständlich, Botschaften auch digital zu platzieren. Andere machen nur mit, wenn jemand den Anfang gemacht hat. Die Allermeisten nehmen weiterhin an einem Anlass teil, ohne darüber zu twittern.
Wieviel Aufbauarbeit habt ihr in den letzten zwei Jahren geleistet, um eine gewisse Eigendynamik in den Social Media-Kanälen zu erreichen?
Ich habe während der zwei Jahre als Programmverantwortliche viel Zeit in soziales Netzwerken investiert. Neben Facebook und Twitter haben wir auch ein Blog als weitere Debattenplattform betrieben. Während der Zeit, als das Blog aktiv war, habe ich auf zwei bis drei Artikeln pro Woche bestanden. Diese von den Autoren einzufordern, war nicht immer leicht. Aber ich habe da eine klare Meinung – nicht nur was Blogs betrifft, sondern digitale Kommunikation im allgemeinen: Man darf und soll Online-Plattformen als Experimentierfeld nutzen. Aber man muss dabei unbedingt professionell bleiben. Ansonsten verliert man an Glaubwürdigkeit.
„Wenn etablierte Kulturhäuser ihre Reichweite halten wollen, müssen sie sich über kurz oder lang mit den neuen Medien befassen.“
Ihr habt teilweise auch kontroverse Beiträge auf dem Blog veröffentlicht. Trotzdem habe ich nicht den Eindruck, dass auf dieser Plattform viel debattiert wurde.
Nein. Die Beiträge wurden zwar gut gelesen und einige haben durchaus Diskussionen ausgelöst. Diese haben aber meistens auf den Facebook-Seiten des jeweiligen Autors stattgefunden und nicht bei uns.
Hat dich das frustriert?
Nein. Es war zwar anders geplant, aber für mich ist es so auch in Ordnung. Natürlich möchte man, dass Diskussionen auf den eigenen Seiten stattfinden, aber das lässt sich nun mal nicht steuern. Dafür ist der virale Effekt grösser, wenn auf einer fremden Facebook-Seite über Beiträge aus deinem Blog verhandelt wird. In der digitalen Kommunikation lassen sich ja keine klaren Grenzen mehr ziehen zwischen eigener Sphäre (Site) und Umfeld. Das muss man akzeptieren und ausnützen. Ich bin sowieso davon überzeugt, dass digitale Kommunikation nur mit einem rollenden Konzept funktioniert, das sich an unvorhergesehene Änderungen und Effekte anpassen lässt. Man muss flexibel sein und experimentierfreudig.
Hattest du denn eine Vision bezüglich der Nutzung der Neuen Medien, als du die Stelle angetreten hast?
Mein Wunsch ist, dass das Analoge und das Digitale so miteinander verzahnt sein werden, dass sie einander gegenseitig unterstützen. Das Verständnis dafür, wann welche Form angebracht ist, muss teilweise in der Welt der Kulturhäuser noch reifen. Ich habe das auch während meiner Arbeit bei Karl immer wieder bemerk.
Und wie weit bist du bei Karl in Bezug auf diesen Wunsch gekommen?
Wie gesagt: Ich habe in meinen zwei dort Jahren sehr viel Zeit investiert und wir sind auf einen guten Weg gekommen. Um das Ziel zu erreichen, braucht es aber bestimmt weitere zwei Jahre oder noch mehr mit ebenso starkem Engagement. Ich selbst bin seit diesem Monat nicht mehr dabei, bin aber weiterhin überzeugt von Karl der Grosse und wünsche ihm viel Erfolg!
Zur Person
Sabine Gysi ist Kulturmanagerin und Kommunikationsfrau. Von Juli 2013 bis August 2015 war sie als Programmverantwortliche im Debattierhaus Karl der Grosse tätig. Sie war schon mehrfach daran beteiligt, für Kulturhäuser wie zum Beispiel die Villa Sträuli in Winterthur das Programm neu aufzubauen. Für das Moods im Schiffbau verantwortete sie während knapp vier Jahren die Kommunikation. Zudem führt sie seit fünf Jahren die Spoken-Words-Veranstaltungsreihe „Salonpalaver“ durch, die sie gemeinsam mit der Autorin Tanja Kummer gegründet hat.
Bild: Nicole Schneider